Der Pressedienst Fahrrad hat einige Erfahrungen und Fakten über die Konsequenzen der öffentlichen Wahrnehmung der Radfahrer seit der Corona-Krise zusammen getragen, die wir in diesem Artikel beleuchten. Was passiert also mit dem Radfahren nach Corona? Hatte die Krise überhaupt einen Einfluss auf Radfahrer, die Fahrrad-Industrie oder das Verhalten von Verkehrsteilnehmern im Allgemeinen und Politikern im Besonderen.
Ab dem 20. April sind Fahrradläden wieder geöffnet (in Bayern 27.4.)
Ab dem 20. April 2020 dürfen die Fahrradläden wieder öffnen, das besonders betroffene Bayern zieht am 27. April 2020 nach. Nach annähernd 4 Wochen Quarantäne wollen die Menschen wieder raus auf die Straße, sich mit Freunden und Verwandten treffen und Shoppen – solange es der Mindestabstand zulässt. In der Krise ging es im Wesentlichen natürlich um die Eindämmung der Ansteckungsgefahr durch den Virus.
Die Radfahrer hatten eine kleine Insel der Glückseligen
In diesen besonderen Zeiten der Corona-Pandemie hatten Radfahrer in den meisten Fällen in Deutschland die Möglichkeit trotzdem Ihrem Hobby nachgehen zu können. Unter der Bedingung, dass man alleine fährt oder maximal zu zweit mit einem Mitbewohner/Familienmitglied und dass man sich keinem unnötigen Risiko aussetzt (Mountainbiken in den Bergen also nicht). Generell wurde aber anerkannt, dass Radfahren das Immunsystem fördert und den Öffentlichen Nahverkehr (mit seinem erhöhten Ansteckungsrisiko) entlastet. Speziell der Gesundheitsaspekt war der Politik laut Branchenvertretern besonders wichtig.
Volle Radwege und viel Verständnis fürs Rad
Die Fahrradwege waren an den Wochenenden dementsprechend recht voll bei gutem Wetter. Und die Politik hat auch entschieden, dass die Fahrradläden alle ihre Reparaturabteilungen geöffnet haben durften. In den Werkstätten wurde also fleissig geschraubt. Jetzt muss der Fahrradverkehr in der Politik und der Gesellschaft richtig verankert werden. Sehr viele Menschen sitzen seit langen wieder zum ersten Mal auf dem Rad. Das Verständnis für Radfahrer war vielleicht noch nie so groß. Die Chancen für Radfahren nach Corona sehen also gar nicht so schlecht aus, wenn man die Fahrradpolitik im Fokus hat – und sogar die meisten Fahrradläden sprechen von einem ungewöhnlichen, aber nicht schlechten Jahr.
Das Bewusstsein Radfahren nach Corona steigern
Erfolgreiche Lobbyverbände, die gemeinsam mit der Politik in Verhandlungen standen, konnten den Stellenwert des Rades im Allgemeinen steigern. „Das Fahrrad ist ein Krisenlöser. Das wird in anderen europäischen Ländern anders gesehen, aber in Deutschland ging die Debatte von vornherein in die richtige Richtung“, freut sich Wasilis von Rauch, Geschäftsführer beim Bundesverband Zukunft Fahrrad (BVZF). Albert Herresthal, Geschäftsführer vom Verbund Service und Fahrrad (VSF g. e. V.), ergänzt: „Wir haben als Branche sehr gut zusammengearbeitet und ein gutes Timing für unsere Themen gehabt.“ Deshalb werde ab Montag den Menschen, die bislang kein oder nur ein altes Fahrrad hatten, mit einem neuen Rad oder E‑Bike ebenfalls eine gesunde Mobilität ermöglicht.
Dazu zählen theoretisch auch Schulkinder, wie Jörg Müsse, Geschäftsführer des Einkaufsverbundes Bike & Co, beispielhaft erklärt: „Anstatt mit dem überfüllten Bus können sie mit dem Rad zur Schule fahren. Das ist eine sinnvolle Ergänzung zum ÖPNV. Es geht jetzt nicht darum, Produkte in den Markt zu drücken, sondern Radfahren in das Bewusstsein der Gesellschaft zu bringen.“
Miteinander mit ÖPNV schaffen
Das Fahrrad werde in Zukunft eine größere Rolle spielen, um den ÖPNV zu entlasten, und gerade auf kurzen Strecken seine Stärken ausspielen. Auch weil in den Großstädten der ÖPNV an seine Grenzen stößt und im Regelbetrieb in Spitzenzeiten schnell überlastet ist. Die Vertreter der Bike-Branche betonen allesamt, dass man sich nicht als Krisengewinner gegenüber dem ÖPNV sieht, sondern gemeinsam für eine bessere Umwelt einsteht. Jedes Verkehrsmittel habe seine spezielle Funktion und müsse jetzt durch die Krise an seiner Positionierung arbeiten. „Das Fahrrad ist eine Alternative im Verkehrssystem. Wir müssen jetzt Werbung für das Fahrrad machen“, sagt Burkhard Stork, Vorsitzender des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC e. V.). Heiko Truppel, Online-Marketing-Manager beim Liegeradhersteller HP Velotechnik, sieht jedoch auch die Nahverkehrsanbieter in der Pflicht: „Die ÖPNV-Anbieter müssen ihr Angebot auch mehr auf das Fahrrad ausrichten.“ Als Beispiele nennt er verbesserte Mitnahmemöglichkeiten und einheitliche Tarifstrukturen.
Kommunen in die Pflicht nehmen
Vorher bereits drängende Maßnahmen dürfen durch Corona nicht in Vergessenheit geraten, sondern sollten erst recht in Angriff genommen werden, findet Heiko Müller, Geschäftsführer des E‑Bike-Herstellers Riese & Müller. Dazu zählt die Schaffung einer radfahrerfreundlichen Infrastruktur, die in vielen Kommunen leider nicht umgesetzt wird. Fördergelder dafür seien jedoch vorhanden. Problematisch sind aktuell jedoch die fehlenden personellen Kapazitäten. Direkt spürt das auch Andreas Hombach vom Stadtmöblierer WSM. Das Unternehmen produziert Fahrradabstellanlagen. Er steht im engen Austausch mit kommunalen Vertretern. „Seit Mitte März ist ein deutlicher Auftragsrückgang zu spüren.
Bei den Kommunen steht die Krisenbewältigung im Vordergrund und Verantwortliche werden in andere Abteilungen abberufen“, berichtet er. Der Ausbau der Infrastruktur steht auch für Siegfried Neuberger, Geschäftsführer des Zweirad-Industrie-Verbandes (ZIV), weit oben. Hinzu kommt für ihn, dass die rechtlichen Grundlagen für das S-Pedelec verbessert werden müssen. Das sehen auch wir von born2.bike so. „Diese Fahrzeuggattung bietet noch viel Potenzial gerade für Pendler, das aktuell nicht genutzt wird“, erklärt er. Ein weiterer Aspekt, für den sich die Branchenvertreter stark machen, ist die Senkung der Mehrwertsteuer für Fahrräder und E‑Bikes auf sieben Prozent. „Hier sind wir auf einem guten Weg“, so die Einschätzung Neubergers.
Bislang sei die Fahrradbranche mit einem blauen Auge durch die Corona-Krise gekommen. „Wie stark die Branche wirklich geschädigt ist, ist die Frage. Hier kann man noch keine seriösen Aussagen treffen“, so Albert Herresthal. Über 70 Prozent der ZIV-Mitglieder hätten mittlerweile Kurzarbeit beantragt und auch die Liefersituation aus Asien sei schwierig, berichtet Siegfried Neuberger. Hinzu drohen gesellschaftlich eine Massenarbeitslosigkeit sowie Staatsverschuldung. Das Fahrrad sei aber gerade in solchen Situationen für viele Menschen ein gutes Instrument, um für positive Stimmung zu sorgen. „Wir müssen das Momentum jetzt nutzen und neue Ideen für die Zukunft sammeln“, resümiert von Rauch.
Unser Wunsch
Wir wollen das Radfahren nach Corona sicherer, selbstverständlicher und häufiger genutzt werden kann.